Der Agilitäts-Hype und seine Irrtümer
Agilität wird seit einiger Zeit als DIE Lösung für jegliche Entwicklungs- und Anpassungsprobleme von Unternehmen an wirtschaftliche Herausforderungen gehyped. Globalisierung und Digitalisierung werden als Treiber gesehen, ebenso wie eine steigende Erwartungshaltung von Kunden hinsichtlich Reaktionsgeschwindigkeit und individueller Lösungen.
Doch was heißt denn eigentlich „agil“? Und wann ist es wirklich das Heilmittel für die vielfältigen Geschäftsherausforderungen?
Agilität in Organisationen – Theorie und Praxis
Agilität beinhaltet die Fähigkeit, sich schnell und flexibel auf neue Situationen einstellen zu können, d.h. anpassungsfähig zu sein.
Im Agilen Manifest wird dieses konkretisiert:
- Individuals and interactions over processes and tools
- Working software over comprehensive documentation
- Customer collaboration over contract negotiation
- Responding to change over following a plan
Agilität zu leben, bedeutet zum einen das System mit seinen Interaktionen und Wechselwirkungen zu verstehen, klare Ergebnisorientierung mit Fokus auf den Kunden zu realisieren und einen Prozess des organisationalen Lernens statt ständiger Dokumentation und Absicherung zu etablieren. Alles nicht neu, aber wunderbar zusammengefasst.
In der Praxis werden diese Prinzipien jedoch mit der Einführung hoch komplexer Organisations- und Führungsformen (wie z.B. Schwarmorganisation) und neuen Projektmanagement Methoden (z.B. SCRUM) gleichgesetzt, die oft eine Überforderung der Führungskräfte und Teammitglieder darstellen.
Eine Umstellung auf eine agile Organisation, Zusammenarbeit und Methoden ist dann sinnvoll, wenn sie Probleme löst, anstatt neue zu schaffen. Komplexität soll gemanaged und nicht erhöht werden, oder?
Irrtum 1: Agiles Management ist in jedem Marktumfeld erforderlich
Wir leben in einer VUCA-Welt, so die Behauptung – aber sind alle Märkte hoch volatil, komplex, unsicher und ambigue? Wenn ich mittelständische Unternehmen berate, stelle ich oft fest, dass viele der Krisen nicht durch äußere Anforderungen entstehen, sondern durch einen selbstverschuldeten Mangel an klaren Zielen, Planung, Organisation und regelmäßigem Soll-Ist-Abgleich.
Agilität wird dann zum Erfolgsfaktor, wenn wir wenig Ahnung haben, in was für einem Feld wir uns bewegen und dieses sich ständig unvorhergesehen ändert. Agile Organisationsformen und Methoden können hier beim Innovieren in instabilen, komplexen Märkten helfen. In stabilen Systemen brauchen wir sie nicht:
(nach Kruse, 2005)
Es geht demnach nicht darum, mit aller Macht „agil“ zu werden, sondern darum, den richtigen Hebel zu finden, um die Organisation Schritt für Schritt erfolgreicher zu machen.
Irrtum 2: Agil = Chaotisch!
Das, was Mitarbeiter mit „agil“ verbinden, scheint oft das Chaos zu sein: Beliebiges Umschmeißen von Prioritäten erhält mit dem agilen Label eine neue Legitimation.
Wer sich jedoch z.B. mit der SCRUM Projektmanagement Methode beschäftigt, der stellt fest, dass es knallhart definierte Prinzipien, Rollen, Werte und Ablaufsystematiken gibt: Ein Daily Scrum Meeting dauert genau 15 min, alle Product Backlog Änderungen laufen über den Product Owner, während eines Sprints gibt es keine Änderungen am Ziel, etc..
Klare Regeln, Disziplin, Strukturvorgaben und definierte Rollen geben Orientierung und ermöglichen so erst die inhaltliche Ausrichtung auf den Kunden!
Irrtum 3: Organisationsumstellung auf agile Strukturen und Methoden schaffen den Turnaround
Hier kann ich nur warnen: Stichtagsbezogene Umstrukturierungen auf Squads, Tribes, etc. sind tiefe Eingriffe in die bisherige Funktionsweise des Unternehmens.
Eine umfassende Organisationsänderung zerstört meist alle bisherigen Orientierungsstrukturen und senkt schlagartig die Leistungsfähigkeit.
Bevor ich umstelle, braucht es ein agiles Mindset und die entsprechenden Kompetenzen. Um diese zu entwickeln, hilft ein Step-By-Step Erleben-Lassen (und Glauben-Lernen), dass es funktioniert und wie es funktioniert.
Hier ist Change Management gefragt, das über eine gute Vermarktung hinausgeht. Es muss systemisch Sinn machen und die Entwicklungsdynamiken der Menschen einbeziehen.
FAZIT
Die Grundprinzipien der Agilität helfen, Unternehmen anpassungsfähiger im Wandel in der VUCA-Welt zu machen – die teilweise gehypten organisatorischen und methodischen Formate sind jedoch nicht die Lösung per sé, sondern müssen intelligent und individuell für jede Organisation entwickelt werden.
Bleibt tapfer und genießt das Abenteuer!
Literatur
Kruse, P. (2005): Next practice. Erfolgreiches Management von Instabilität. Veränderung durch Vernetzung. Offenbach
Beck, K. et al. (2001): Manifesto for Agile Software Development. URL: https://agilemanifesto.org/iso/de/manifesto.html 15.08.2019
Diesen Artikel zitieren:
Popp, Y,L. (2019): Der Agilitäts-Hype und seine Irrtümer. Publication Series: Concepts of Agility.URL: http://ylp-consult.de/home-en/research-project/blog/
Download: Serie_Concepts of Agility_Agile Irrtümer